3-5-Satz

Tutorial: 3-5-Satz

Tutorial zur Improvisation von 3-5-Sätzen, von Ivo Haun

Einführung

Pierre Sandrin, Doulce memoire, incipit (Le Paragon des Chansons, Lyon: Jacques Moderne, 1538, fol. 19)

Diego Ortiz, Tratado de Glosas, Rom: Valerio und Luys Dorico 1553, fol. 53v

Anonym, Cancionero de Palacio, ca. 1500, f. 59

Die oben abgebildeten Abschnitte zeigen Klangfortschreitungen, die in vielen Kompositionen aus der Renaissance zu finden sind. Guilielmus Monachus beschreibt in De Preceptis Artis Musicae (ca. 1480), wie solche Sätze improvisiert werden können. Dabei hat jede Stimme eine klar definierte Rolle, und so entsteht auf der Basis eines Cantus Firmus eine Vierstimmigkeit, die mit einfachen Prinzipien extemporiert werden kann.

Auf einem Tenor (Cantus Firmus), der sich hauptsächlich stufenweise bewegt, kann man:

  • eine zweite Stimme (Cantus) hinzufügen, die hauptsächlich in Sextparallelen zum Tenor singt (Gymel = „Zwillingstimme“);
  • eine dritte Stimme (Bassus), die abwechselnd Quinten und Terzen unter dem Tenor singt;
  • eine vierte Stimme (Altus), die sich der Bassusstimme anpasst und abwechselnd Quarten und Terzen über den Tenor singt, und zwar die Oberterz zum Tenor, wenn der Bass die Unterterz singt, und die Oberquarte, wenn der Bass die Unterquinte nimmt.

´ Anmerkung: Die Rolle des Cantus Firmus in dieser Technik kann auch vom Cantus übernommen werden- dieser Fall wird weiter unten behandelt; die Rollen der Zusatzstimmen bleiben jedoch unverändert und werden einfach zwischen Cantus, Tenor und Alt vertauscht. ´

Folia

Im Folgenden wird dieses Prinzip Stimme für Stimme anhand eines Tenors gezeigt, das stufenweise von re bis la auf- und absteigt – es ergibt sich die sogenannte Folia.

  • Cantus (Oktaven am Anfang und am Ende, Sexten dazwischen). Hier bevorzugt man, aus ästhetischen Gründen (causa pulchritudinis), ein cis im Cantus über dem MI des Cantus Firmus zu singen.
  • Bassus (Unisono oder Oktave am Anfang und am Ende, abwechselnd Quinten und Terzen dazwischen):
  • Altus (abwechselnd Quarten und Terzen, plus Quinte am Anfang und am Ende):

Das vierstimmige Resultat ist dann wie folgt:

Wenn die angegebene Tenor-Melodie sich nur in Sekundschritten bewegt und jede zusätzliche Stimme ihre Rolle bedingungslos respektiert, können wir nun versuchen, diese Technik in den folgenden Beispielen anzuwenden:

fa super la

Wenn die Melodie den höchsten Ton eines Hexachords nur um einen Ton übertrifft, wird dieser Ton gewöhnlich als fa (= einen Halbton höher als la) gesungen. In diesem Fall haben die Zusatzstimmen mehrere Möglichkeiten:

  • dem gewohnten Schema folgen, nämlich: Cantus mit der Sexte, Bassus mit der (perfekten) Quinte und Altus mit der Quarte zum Tenor
  • Der Bassus singt eine Oktave unter dem CF, der Cantus eine Quinte und der Altus eine Terz drüber
  • Der Bass singt zwei Töne unter dem la (zuerst die Unterterz und dann die Unterquinte), sodass er beim fa super la die Unterterz nehmen kann. Beim darauffolgenden la kann er wieder mit zwei Basstönen (Unterquinte und Unterterz) zurück zum Folia-Modell kommen. der Alt muss sich dabei an den Bass anpassen, indem die wechseln von der Oberterz zur Oberquarte mit dem Bassfortschreitungen koordiniert werden.

Sprünge im Cantus firmus

Bei einigen Sprüngen des CF können die Zusatzstimmen problemlos die gleichen Töne singen, die sie bisher auf den entsprechenden Tönen des CF gesungen haben, wie folgt:

  • re-fa
  • re-sol
  • mi-la
  • sol-fa super la und fa-fa super la

Befolgt man das Folia-Muster streng, so ergeben sich bei CF-Sprüngen wie mi-sol oder fa-la Quint- und Oktavparallelen. Um diese zu vermeiden, ist es angebracht, dass die Bassstimme zwei Töne auf einem des CF singt, indem sie eine andere Konsonanz (Terz oder Quinte) hinzufügt. Auf diese Weise bleibt man im Modell, und der Cantus kann weiterhin Sextparallelen zum CF singen; der Alt muss weiterhin den abwechselnden Gebrauch von Oberquarten und Oberterzen mit dem Bassus koordinieren, um Dissonanzen zu vermeiden.

  • fa-la und la-fa
  • mi-sol und sol-mi

Wenn die Melodie des CF unter dem re geht, dann müssen die Zusatzstimmen angepasst werden, beispielsweise um eine Kadenz auf ut anzusteuern. Hier einige Vorschläge:

  • fa-re-ut (im 2. Beispiel ermöglicht die Unteroktave unter dem fa, dass der Cantus die Synkopendissonanz vorbereitet)
  • fa-mi-re-ut (Auf dem mi singt der Bass eine Quinte und eine Terz, damit er die Penultima re mit einer Quinte erreichen kann; der Alt muss sich adaptieren)

Cantus firmus oben

Der 3-5-Satz kann auch mit dem Cantus firmus im Cantus verwendet werden, wie bei Juan del Encinas Señora de hermosura oder Si abra en este baldres

In diesem Fall werden die Rollen der einzelnen Zusatzstimmen einfach anders verteilt: die Gymel-Stimme wird vom Alt übernommen, der nun Unterterzen (statt Obersexten) zum CF singt. Die vierte Stimme (im Tenor) singt nun abwechselnd Quinten und Sexten unter dem CF.

Ausblick

Wenn man schon das Improvisieren von 3-5-Sätzen beherrscht, kann man auch beim Improvisieren folgende Elemente miteinbeziehen:

  • Durchgangstöne und Verzierungen, um die strukturellen Töne eleganter zu verbinden
  • Pausen zu Beginn einer Phrase oder zwischen zwei Phrasen, um die Gliederung der musikalischen Struktur zu unterstreichen und die Einsätze der Zusatzstimmen zu verdeutlichen
  • Vorhalte, insbesondere auf der vorletzten Note (Penultima) der Diskantklausel.

Zum weiterüben empfehlen wir folgende Beispiele aus dem Chansonnier de Bayeux:

Ein besonderer Fall ist Hellas, ma dame: Hier hat die gegebene Stimme eigentlich die Rolle des Gymel-Rolle, wie man an den Diskantklauseln sehen kann. Es gilt also, den entsprechenden Tenor in Untersexten zu finden.

Mit mehr Erfahrung kann man auch weitere Beispiele nehmen, die nicht dorisch sind, wie:

Quellen

Literatur

  • Barnabé Janin, Chanter sur le livre, Lyon: Symétrie 2014 (3. Auflage)
  • Markus Jans, “Alle gegen Alle. Satzmodelle in Note-gegen-Note-Sätzen des 16. und 17. Jahrhunderts”, in: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis, X (1986), Basel: Amadeus Verlag Winterthur, S. 101-120
  • Markus Jans, „Modale "Harmonik" : Beobachtungen und Fragen zur Logik der Klangverbindungen im 16. und frühen 17. Jahrhundert“, in: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis, XVI (1992), Basel: Amadeus Verlag Winterthur, S. 167-188
  • Philippe Canguilhem, L’Improvisation polyphonique à la Renaissance, Paris: Classiques Garnier 2015

Videomaterial

3 voix - Gymel en 3ces supérieures + bassus

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