
Tutorial: Contrapunto concertado
Tutorial zur Improvisation von mehreren Stimmen zu einem Choral (nach spanischen Quellen), von David Mesquita
Einführung
Zahlreiche spanische Quellen unterscheiden grundsätzlich zwei Sorten von Kontrapunkt:
- Beim zweistimmigen contrapunto suelto improvisiert ledig ein Sänger gegen den canto llano (Choral). Diese Disziplin war methodisch in zahlreichen "Gattungen" und diente insbesondere dazu, die Kontrapunktisten auszubilden. (siehe Tutorial dazu)
- Beim drei- und mehrstimmigen contrapunto concertado hingegen improvisieren mindestens zwei Sänger simultan gegen den Choral. Die Schwierigkeit liegt gerade darin, dass die simultanen Improvisationen gut zusammen passen. Denn selbst wenn zwei Kontrapunktisten im Bezug zum Choral jeweils einen richtigen Kontrapunkt improvisieren, heißt es nicht, dass diese Zusammenpassen - es können sich zwischen ihnen unvorbereitete Dissonanzen und andere Satzfehler ergeben.
Damit einer guter contrapunto concertado oder concierto gelingt, müssen die Kontrapunktisten also koordiniert agieren - das Verb "concertar" bedeutet eben vereinbaren, koordinieren, aufeinander abstimmen. Die Quellen geben keine präzisen Anweisungen für ein gutes concertar: Cerone schreibt, dass man das nicht so gut erklären kann, "weil es kein sicheres und sichtbares Fundament hat"; und Lusitano erklärt, dass die Kontrapunktisten "sich kennen sollten, damit der eine mit dem (kontrapunktischen) Vokabular des anderen vertraut ist". 1) 2)
Dennoch können wir in den Quellen implizit oder explizit verschiedene concertar-Methoden finden:
- Improvisationsmodelle, wie z.B. der 3-5-Satz oder der Dezimensatz, dienen quasi als "Verkehrsregeln", die Kollisionen zwischen den Stimmen vermeiden.
- sukzessive Konzeption: In der Probenarbeit improvisiert zunächst ein Sänger eine zweite Stimme; ein weiterer Sänger merkt sich diesen Kontrapunkt und fügt eine passende dritte Stimme hinzu; usw.
- Guidonische Hand: Ein Kontrapunktist erfindet zwei oder drei Stimmen simultan - er singt eine davon und zeigt gleichzeitig die andere(n) mit der/n Hand/Händen, die von weiteren Sängern gelesen und klanglich umgesetzt werden. (siehe [Tutorial])
- desentonar: Alternativ zur Guidonischen Hand, kann man während des Singens die Solmisationssilben einer anderen Stimme sagen
- sonstige nonverbale Kommunikation, wie Blickkontakt oder vereinbarte Zeichen (quasi wie in einer Basketball Manschaft) können helfen, den Wechsel von einem Modell ins andere oder Kadenzvorgänge zu koordinieren.
Ein kunstvoller contrapunto concertado, wie er in Iberischen Kathedralen vom 16. bis 18. Jahrhundert praktiziert wurde, beruht auf die Kombination von verschiedenen, teils komplexen Modellen. Die nötige Koordination, um von einem Modell zum anderen zu wechseln, kann nicht gänzlich am Computer gelernt werden. Ziel dieses Tutorials ist es vor allem, die verschiedenen "Zutaten" (kontrapunktische Vokabeln) kennenzulernen und einzuüben. Ein katalanischer Anonym fasst die nötigen Bestandteile wie folgt zusammen: "Damit ein Kontrapunkt gut ist, muss er drei Bestandteile haben: ein Motiv, Läufe und eine Kadenz." (Anon 1730, S.34: "perque sia bo lo contrapunt, ha de tenir tres cosas, que son Pas, carrera, y clausula.")
Es ist wichtig auch zu erwähnen, dass der contrapunto concertado in der Regel im compas mayor (das ist ein langsamer alla breve mit vier Minimen pro Takt - zwei "unten" und zwei "oben") praktiziert wurde. Denn so haben die Kontrapunktisten (anders als in schnelleren Taktarten wie dem compasillo oder alla semibreve-Takt) genügend Zeit, um vor der nächsten Fortschreitung des Chorals zu manövrieren.
Clausulas (Kadenzen)
Die meisten Quellen zum contrapunto concertado (17.-19.Jh.) beginnen mit clausulas - das sind Beispiele mit einer langen Kette von Kadenzformeln entlang eines Chorals. Bei der Kadenzformel handelt es sich um die sogenannte cadenza doppia (siehe Artikel von Johannes Menke). Die Verkettung von solchen clausulas, die bereits in Kompositionen des frühen 17.Jh. anzutreffen ist, wurde also zu einem grundlegenden Bestandteil der Methodik des contrapunto concertado.
Choral stufenweise
Im vorigen Beispiel zeigt uns Andres Lorente (1672, S. 366), wie man clausulas über einen stufenweise fortschreitenden Choral bilden kann. Hierfür braucht man zwei Rollen:
- Die zweite Stimme oder segunda voz (hier in der Mitte) beginnt jeden Takt mit der (grossen) Terz, gefolgt von einer synkopierten Quarte. Diese wird am Takt ende wieder in die Terz aufgelöst - diese zweite Terz ist gross, wenn der Choral danach steigt, und einfach leitereigen oder gelegentlich erniedrigt, wenn der Choral anschliessend absteigt.
- Die dritte Stimme oder tercera voz (hier oben) beginnt mit den Intervallen 5-6-5 (ab dem zweiten Takt: 7-6-5). Am Ende des Taktes bereitet sie dann die Septime vor, die im nächsten Takt erklingt. Der Kontrapunktist muss dafür immer den Choral vorausschauen: Wenn dieser einen Schritt nach oben hat, dann muss die Vorbereitung eine Oktave sein; beim Schritt nach unten muss man die Sexte nehmen.
Um diese Formel zu verinnerlichen, empfehlen wir, sie über den Hexachord zu üben:
Terzsprünge
Schreitet der Choral in Terzen fort, so können die Stimmen grundsätzlich ihre Rollen beibehalten:
- Bei der Terzaufwärts kann die dritte Stimme die Septime nicht vorbereiten und muss also die neuen Takte mit der Quinte oder Sexte beginnen
- Bei der Terzabwärts finden in den historischen Beispielen sehr oft die quinta syncopata, indem die zweite Stimme zwischen den Takten liegen bleibt und eine Quinte vorbereitet, die dadurch zur Dissonanz wird, dass die dritte Stimme zur Sexte fortschreitet. Eine typische Formel wäre also folgende:
Springt der Choral hingegen mehr als eine Terz, dann tauschen die zweite und dritte Stimme in der Regel ihre Rollen, um parallele Sprünge in allen den Stimmen zu vermeiden. Springt der Choral eine Quarte aufwärts oder eine Quinte abwärts,
- so kann die zweite Stimme am Ende der ersten Choralnote auf der kleinen Terz liegen bleiben und die kleine Septime über der nächsten Choralnote bilden - sie wird also ab hier zur dritten Stimme.
- Die dritte Stimme muss dabei nichts vorbereiten, und wird zur zweiten Stimme, indem sie im nächsten Takt die grosse Terz singt.
Grössere Sprünge
Sprint der Choral eine Quinte aufwärts oder Quarte abwärts, so findet ebenfalls ein Rollentausch statt, aber ohne vorbereitete Septime.
Nun kann der Leser probieren, Clausulas über verschiedene Choräle zu üben. Erstmal kann man mit den movimientos (Übungschorälen mit konsequenten Intervallfortschreitungen) die Formeln wiederholen und verinnerlichen:
Danach kann man mit anderen Chorälen im compas mayor üben.
clausulas de septima
In manchen Fällen klingen die clausulas mit der synkopierten Quarte auffällig. Dies passiert zum Beispiel:
- wenn der Choral einen B hat, denn die Quarte E ist übermässig, und ein Es passt eher nicht im (diatonischen) Modus.
- wenn der Choral einen H hat, denn die Quinte F in der dritten Stimme wäre vermindert
- bei Halbtonfortschreitungen im Choral, z.B. E-F-E: Hier hätte die zweite Stimme die auffällige Tonfolge Gis-A-B-A-Gis
Statt die Quarte zu synkopieren, kann in diesen Fällen die zweite auf der Terz bleiben, oder diese diminuieren, während die dritte Stimme eine Synkope mit der Septimme bildet:
Carreras (Läufe)
Der Gebrauch von Semiminimen war in der spanischen Contrapunto-Lehre ziemlich streng geregelt:
- Die erste von jeden zwei Semiminimen (die "gute") muss stets konsonant sein - es ist also kein transitus irregularis erlaubt.
- Grundsätzlich wirden Semiminimen nur stufenweise gebraucht, und zwar ohne Richtungswechsel. Diese auf dem ersten Blick willkürliche und einengende Regel führt dazu, dass Semiminimen immer eine entweder auf- oder absteigende "Skala" bilden, die carrera (in Italien: tirata) genannt wurde. Längere carreras galten als besonders geschickt.
Beim concertar ziegt sich der Vorteil von diesen strengen Regeln: Fängt ein Kontrapunktist an, Semiminimen zu singen, dann ist für sein Kollege gleich die darauffolgende carrera vorhersehbar bzw. "vorherhörbar". Außerdem lassen sich carreras nach zwei Semiminimen im Einklang imitieren, sodass Terzparallelen resultieren. Hierfür muss der dux seine carrera so anlegen, dass die Imitation des comes auch dann konsonant ist, wenn der Choral zur nächsten Note fortschreitet. Es gilt also, die passenden Formeln für die verschiedenen Bewegungen des Chorals zu lernen.
Choral bewegt sich stufenweise
Wie man im folgenden Notenbeispiel beobachten kann, ist der Schlüssel, um carreras im Canon über einen Choral zu improvisieren, in der Nahtstelle zwischen den Takten: Die vorletzte Semiminima des dux wird vom comes erst über die nächste Choralnote wiederholt, und bilden somit ein anderes Intervall: Im dux ist sie die Sexte zum Choral, im comes eine Quinte. Steigt der Choral stufenweise, so ist diese die einzige Option, denn alle anderen Konsonanzen im dux werden im nächsten Takt zu Dissonanzen im comes - die Terz zur Sekunde, die Quinte zur Quarte und die Oktave zur Septime. Um die absteigenden carreras des dux so zu trainiren, dass sie durch die richtige Konsonanz gehen, kann man sie über jede Note des aufsteigenden Hexachords mit einer Dezime auf der zweiten Minima-Position des Taktes beginnen (siehe Beispiel).
Steigt der Choral, so muss der dux im Schlüsselmoment die Quinte nehmen, die im comes zur Sexte wird. Hierfür nimmt man eine aufsteigende carrera, die mit dem Einklang beginnt.
Sprünge im Choral
Springt der Choral um eine Terz, dann sind die carreras ungünstig, denn sie führen automatisch zu einer Dissonanz im nächsten Takt. Falls man trotzdem eine carrera beginnt, dann kann man den Unfall "in extremis" vermeiden, indem beide Kontrapunktisten am Taktende eine Minima und somit carrera unterbrechen.
Bei Quartsprüngen hingegen kann man dieselben carreras wie bei Sekundschritten nehmen - sie führen hier ebenfalls zu einer Konsonanz. Darüber hinaus gibt es eine weitere Möglichkeit: aufsteigend kann man die carrera eine Terz höher nehmen, absteigend eine Terz tiefer:
Quintsprünge können wie Quartsprünge in die andere Richtung behandelt werden (z.B. e-A wie e-a oder f-c wie f-c').
Verknüpfung von carreras und clausulas
Carreras und clausulas lassen sich gut miteinander verknüpfen, insbesondere wenn der Choral sich stufenweise bewegt:
- von den carreras zu den clausulas beim aufsteigendem Choral: Hier kann der comes auf der letzten Minima eines Taktes stehen bleiben. Wird diese letzte Minima (die eine Oktave ist) übergebunden, so wird dadurch die Septime vorbereitet, die erklingt, wenn der Choral im nächsten Takt eine Stufe steigt. Der dux ist dabei auf die Terz gelandet, sodass von diesem Klang aus die Kontrapunktisten eine clausula über den neuen Takt machen können. Wichtig ist dabei, dass der dux-Sänger aufmerksam verfolgt, ob der comes weiter im Canon folgt, oder zwischen den Takten die clausula vorbereitet. Wenn der dux gute Reflexe hat, dann wird er bei Bedarf am Anfang des Taktes die Terz erhöhen (falls sie im Modus eigentlich klein wäre), um der clausula ihren charakteristischen Klang zu verleihen.
Wir empfehlen, über den Hexachord zu üben, und dass der comes dabei nicht im voraus verrät, in welchem Takt er den Wechsel machen wird, damit der dux aktiv hören muss. Im letzten Beispiel finden sich die Wechsel zu den clausulas zum dritten bzw. zum vierten Takt hin. (Der Wechsel ist selbstverständlich auch früher oder später möglich.
- von den carreras zu den clausulas beim absteigenden Choral: Hier entscheidet ebenfalls der comes, wann er aufhören möchte, den dux zu folgen, wobei der Wechsel ohne Synkpendissonanz erfolgt. Auch hier stoppt er auf der letzten Minima des Taktes, wobei er nun auf der Terz steht. Im neuen Takt geht er einen Schritt abwärts, mit einer Terzparallele zum Choral, und kann von da an die neue clausula beginnen.
- von den clausulas zu den carreras beim aufsteigendem Choral: Die dritte Stimme der clausulas, die normalerweise in der letzten Minima des Taktes die Oktave nimmt, um die nächste clausula vorzubereiten, kann stattdessen die ganze zweite Takthälfte auf der Quinte liegenbleiben und dann entweder die Tenorklausel mit der Terz über dem nächsten Choralton abschliessen (also zum Einklang mit der Diskantklausel in der zweiten Stimme führen), oder einfach am Anfang des nächsten Taktes pausieren. So kann im nächsten Takt eine der beiden Kontrapunktisten wieder als dux die carreras beginnen - wer das macht, kann entweder im Voraus abgemacht, oder während der Improvisation klar signalisiert werden.
- von den clausulas zu den carreras beim absteigendem Choral: bei stufenweise absteigenden clausulas nimmt die dritte Stimme normalerweise die Sexte in der letzten Minima, als Vorbereitung für die nächste Septime. Um die Verkettung von clausulas zu unterbrechen, muss man also diese Sextvorbereitung vermeiden. Zugleich muss man sich davor hütten, im nächsten Takt abwärts zur Quinte zu gehen (Quintparallelen), sodass der beste Ziel fürs nächste Takt die Oktave ist. Eine Durchgangsnote ist dabei möglich, wenn sie dabei deutlich eine Solche ist (d.h. als Semiminima nach einer Punktierung), denn ansonsten könnte sie mit einer Vorbereitung für eine weitere clausula verwechselt werden.
Wir empfehlen, den Wechsel von den carreras zu clausulas mit einem weiteren Kontrapunktisten erstmal über den auf- und absteigenden Hexachord) zu üben, bis man mit damit vertraut wird und quasi reflexartig auf die Musterwechsel des Partners reagieren kann. Danach kann man es über andere Choräle probieren, die auch Sprünge enthalten, und dabei die Schritte für den Wechsel nützen. Ideal ist es, wenn man dafür Kollegen findet mit denen man gemeinsam übt, denn das steigert die Chance bfür ein gutes concertar, d.h. dass man gut aufeinder abgestimmt reagiert.
Passos (Imitation von Motiven)
Clausulas und carreras sind methodisch sehr praktisch, um die Grundmuster des contrapunto concertado einzuüben und die erforderlichen Reflexe der kollektiven Improvisation zu schulen. Allerdings können solche Kontrapunkte, die nur aus Standardmaterialien wie Läufe und Kadenzen bestehen, letztendlich etwas "mechanisch" wirken. Die conciertos bekommen eine andere ästhetische Qualität, wenn man sonstige passos (= Motive, soggetti) miteinbezieht, die zwischen den Stimmen imitiert werden. Hierfür gibt es vielleicht kein Standardrezept - die passos und deren Dispositionen in den Beispielen aus den Quellen geben sind zu vielseitig, um sie auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen. Dennoch kann man verschiedene Ansätze probieren, um das kontrapunktische Auge (und Ohr) für die Verwendung von passos zu schulen - dies geschah in der Tat schon im contrapunto suelto, wo man schon versuchte, ein bestimmtes passo entlang des Chorals möglichst oft zu verwenden. Nun geht es darum, kollektive Strategien für ein organisiertes Improvisieren mit passos zu entwickeln.
"Ping-pong"
Zwei Kontrapunktisten improvisieren abwechselnd über den Choral: Der eine beginnt im ersten Takt nach einer Minima Pause, und erfindet einen freien, diminuierten Kontrapunkt, der zu einer Konsonanz über der zweiten Choralnote führt, der zweite Kontrapunktist improvisiert nach demselben Prinzip vom zweiten bis zum dritten Takt, dann ist der erste Kontrapunktist wieder dran, usw. Dieses eigentlich ganz einfache Prinzip kann man dann in verschiedenen Schritten ausfeilen:
- indem man die Figuration des Partners nachahmt - so entsteht der Eindruck einer Imitation, selbst wenn diese nicht wörtlich ist
- indem man Einklänge mit dem Partner vermeidet: Führt die Figuration des Anderen beispielsweise zu einer Terz, so setzt die eigene Antwort lieber mit der Quinte, Sexte oder Oktave (oder gelegentlich Dezime) ein.
- mit etwas Erfahrung kann in den Takten, in denen der Partner dran ist, eine Füllstimme beisteuern: Idealerweise kann man die Imitationen erkennen, deren Fortsetzung voraushören, und die passenden Konsonanzen dazu ergänzen.
Planung der passos
Will man ein passo konsequent durchimitieren, so können sich die Kontrapunktisten vor dem Starten den Choral untersuchen im Hinblick auf die Möglichkeiten, das passo drüber zu platzieren. Eine solche Planung wird in einer anonymen katalanischen Quelle wie folgt graphisch dargestellt:
Anonym, E‐Boc MM 12‐VI‐4, c. 1730, S. 67
Auf der Grundlage einer solchen Planung können die Lücken dann mit Konsonanzen und/oder Standardvokabular (carreras, clausulas) gefüllt werden. Gelegentliche Pausen sind aber auch kein Fehler, sondern haben oft sogar den Mehrwert, dass der nächste Einsatz eines passos hervorgehoben wird.
Lugares comunes
Die Quellen enthalten oft Musterhafte passos über kurze Choralabschnitte. Solche lugares comunes (=loci topici, Allgemeinplätze) wurden auch gelernt, um sie bei bestimmten Choralfortschreitungen anzuwenden. Sie waren eine Art creative commons: Sie gehörten niemanden, und zugleich allen. Ein Beispiel dafür ist der folgende Anfang aus Montanos Arte de Musica (1592, 3. Buch, f. 19‘), den man fast identisch bei Lorente (1672, S.373) finden kann, aber auch oft in Kompositionen.
Man beobachte, wie hier Montanos vor allem das Motiv sol-mi-la in verschiedenen Hexachorden verwendet, und die Lücken mit carreras füllt - in T. 4 wird diese auch im canon imitiert.
Canon über den Choral
Auch das üben des Canon über den Cantus firmus, ist eine sehr gute Schulung, ins besondere für den dux, denn hier lernt man den eigenen Kontrapunkt so improvisieren, dass die Imitation durch den anderen Kontrapunktisten bereits angelegt ist. (Genaue Anweisungen dazu würden diesen Rahmen sprengen, und gehören in einem anderen Tutorial, das in Zukunft erscheinen wird.) Beim contrapunto concertado geht es aber nicht darum, den Canon konsequent entlang des ganzen Chorals zu führen, sondern koordiniert zwischen verschiedenen Techniken zu wechseln. Hierfür kann man, wie wir bereits gesehen haben, von den carreras im Canon gut in die Clausulas wechseln.
Quellen
- Francisco Montanos: Arte de musica, theorica y practica, Valladolid 1592
- Pedro Cerone: El Melopeo y maestro, Neapel 1613
- Andres Lorente: El porque de la musica, Alcalá de Henares 1672
- Pablo Nassarre: Fragmentos musicos, Madrid 1700
- Pedro Rabassa: [Guía para los principiantes], València 1720(?)
- Pablo Nassarre: Escuela musica, Saragossa 1723/24
- Anonym: E:Boc MM 12‐VI‐4. Ref. MM_0052, Barcelona c. 1730
- Francisco Valls: Mapa armonico-practico, Biblioteca de la Universitat de Barcelona, Ms. 783, Barcelona c. 1735
Literatur
- Johannes Menke: Die Familie der cadenza doppia, in: ZGMTH 8/3 (2011)
- Philippe Canguilhem: L’improvisation polyphonique à la Renaissance, Paris 2015
- David Mesquita: "El Contrapunto se estudia para echarlo de repente". Improvisierter Kontrapunkt in Spanien um 1700., Freiburg 2021